„Hoffentlich habe ich das Licht ausgeknipst. Der Lampenschirm könnte heiß werden und ein Brand entstehen. Sicher bekommen die Kinder wieder nichts mit. Nein – ich kann ja nicht wollen, dass denen was passiert. Wie schrecklich! So etwas darf ich nie wieder denken. Hoffentlich erfährt niemand davon. Ich gehe lieber nachsehen!“
Unsicherheiten und Zweifel, aufdringliche Gedanken sind alltäglich. Geschieht es allerdings, dass diese Gedanken bedeutungsvoll werden, dass Katastrophenszenarien auftauchen, dass diese Gedanken gefährlich erscheinen und nicht einfach vorüberziehen, erschreckende, abstoßende, ekelerregende Gefühle ausgelöst werden, so ist es verständlich, dass „Gegenmaßnahmen“ ergriffen werden.
Diese führen zwar kurzfristig zur Entspannung, doch kommt dem aufdringlichen Gedanken dadurch eine größere Bedeutung zu, so dass er noch gefährlicher und abstoßender wird und eventuell durch immer stärkere Gegenmaßnahmen gebannt werden muß.
Dieses stark vereinfachte Beispiel mag den Teufelskreis illustrieren, der zur automatisierenden Entwicklung von Zwängen beiträgt. Diese können aus Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen bestehen: Bekannt sind Kontrollzwänge, Wasch- und Putzzwänge, Wiederholungs- und Zählzwänge, Gedankenketten (verbotene Worte oder Sätze), Ordnungszwänge und zwanghaftes Sammeln.
Den Betroffenen ist die Nutzlosigkeit oder das Übertriebene der Zwänge oft bewusst, wodurch sich Schuld- und Versagensgefühle zusätzlich verstärken. Auch verlieren die ergriffenen Gegenmaßnahmen mit der Zeit ihren kurzfristig entlastenden Effekt, so dass sie einerseits ausgeweitet, andererseits immer mehr schamvoll verborgen und unterdrückt werden müssen.
Betroffene sind oft stark belastet und in ihrem Alltag beeinträchtigt. Da auch symptomfreie Intervalle auftreten und Schamgefühle meist ausgeprägt sind, wird die Erkrankung häufig lange nicht bekannt. Sie neigt zur Chronifizierung und im langjährigen Verlauf können sich zusätzlich Depressionen und Selbsttötungsabsichten entwickeln. Therapeutische Maßnahmen eventuell auch eine medikamentöse Unterstützung können die Zwänge lindern; ein völliges Verschwinden ist nach dem meist langjährigen Erkrankungsverlauf nicht unbedingt zu erreichen.
Ursächlich werden neurobiologische, genetische und psychologische Mechanismen angenommen; gehäuftes Auftreten in Familien ist ebenfalls bekannt.